Volker Macke (Chefredakteur Asphalt); Studierende der Journalistik (BJO) und der Sozialen Arbeit (BSW): Mahmoud Abu Khalifeh (BJO)/Jan Andres (BSW), Seda Baykan (BJO)/LIna Hussein (BSW), Brigita Demirkiran (BJO)/Juliane Näth (BSW), Marie Eierund (BJO)/Tim Heber (BSW), Franziska Hubl (BJO)/Thomas Gubert (BSW), Lucas Jakobus (BSW)/Hannes Wanger (BJO), Felix Kachel (BJO)/Jakob Wendebourg (BSW), Christina Knoop (BSW)/Theo Wienkoop (BJO), Piet Köhne (BSW/Vivien Scholderer (BJO)/Marilyn Utke (BJO), Annabelle Köstler (BJO)/Lisa-Marie Volkmann (BSW), Alicia Krasakov (BJO)/Joe Möbius (BSW), Lirazel Lenke (BSW)/Katharina Stein (BJO), Laurencia Mattew (BJO)/Marieke Meyer (BSW), Jana Oppermann (BJO)/Lena Müller (BSW), Karolina Sacher (BJO)/Madeleine Osteroth (BSW); Betreuung: Maike Wagenaar (BSW), Hans-Peter Fischer (BJO)

Intimität der Straße

Titelblatt Asphalt Intimitätstraße

Titelblatt der Asphalt-Ausgabe 8/2021

Zwei Studiengänge, ein Straßenmagazin, ein Projekt: 30 Studierende der HsH-Studiengänge Soziale Arbeit und Journalistik gingen ein Semester lang "auf die Straße", um Themen rund um das Leben eben dort zu recherchieren. Herausgekommen ist im August 2021 eine ganze Ausgabe der niedersächsischen Straßenzeitung "Asphalt" - mit Texten u.a. über Gewalt gegen wohnungs-/obdachlose Frauen, Geburtsagsfeste für Obdachlose, Drogenabhängigkeit und Substitution.

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Idylle im gemeinsamen Garten. Foto: Marilyn-Luise Utke

Über die Freundschaft unter Punks – Zwischen Utopie und Notgemeinschaft?


Franziska Hubl und Thomas Gubert


Punks – eine Subkultur mit eigenen Regeln, gleichen Werten und eigenem Lebensstil. Auch wenn Punks ein komplett anderes Leben führen als Normalbürger*innen; eines ist überall wichtig: Die Freundschaft.

Eine Feuerstelle befindet sich inmitten einer Sammlung aus geplatzten Ledersesseln, einer morschen Bank und einem Sofa mit fadenscheinigem Bezug. Darum herum parken zwei Wohnwagen. Ein Brunnen, eine Solardusche und ein Plumpsklo stehen neben einer Hütte. In einem Schuppen parken Einkaufswagen, befüllt mit leeren Pfandflaschen und Bierdosen.

In diesem Schrebergarten im Süden der Stadt ist das Zuhause von Sven, Jojo und Sarah. Auch Kai kommt häufiger vorbei. Die Vier haben es sich in ihren Sesseln gemütlich gemacht. Sarah reißt sich eine Packung Würstchen auf und trinkt dazu eine Dose Bier. Die anderen unterhalten sich. Sarahs Hund Spacken liegt mit ausgestrecktem Körper auf dem Sofa. Der andere Hund, Momo, beschnuppert ausgiebig sämtliche Stellen des Schrebergartens.

Sven, Jojo und Sarah sind Punks. Seit etwa einem Jahr wohnt Sven schon hier; die anderen sind nach und nach dazugekommen. Jetzt leben sie in einer Art Wohngemeinschaft. Aber Freunde sind sie auch. Sie bekommen oft Besuch in ihrem Garten. Manchmal von Menschen, die sie nicht oder kaum kennen und die einen Schlafplatz brauchen. Kai ist schon öfter vorbeigekommen. Eigentlich lebt er in einem Männerwohnheim, aber hier gefällt es ihm besser. Warum? Die Gesellschaft sei angenehmer, meint er. „Hier kann ich eigentlich sein, wer ich bin, und das stört keinen.“ Er lacht.

Dass Punks sehr offen im Umgang mit fremden Menschen sind, weiß auch Nils Volkmer. Er ist Sozialarbeiter im Fachbereich Jugend und Familie der Landeshauptstadt Hannover und arbeitet im Sachgebiet Straßensozialarbeit. Er befasst sich schwerpunktmäßig mit der Punk- und Bauwagenszene. Für ihn ist die Freundschaft zwischen Punks etwas Besonderes: „Ich habe noch nie eine so hilfsbereite, freundschaftliche und empathische Subkultur kennengelernt wie die Punks“, erzählt er. „In der Punk-Szene gibt es Teilgruppierungen, die oft kaum miteinander zu tun haben. Es findet sich aber immer eine Gruppe, die dich aufnimmt und akzeptiert, wie du bist.“ Dabei sei egal, ob du Punk bist oder Bankier: „Punks helfen auch einem wildfremden Menschen. Der muss nicht aussehen wie ein Punk. Wenn ich zu ihnen hinginge und sagte, dass ich Hilfe bräuchte, dann würden sie sich um mich kümmern, mir ein Getränk anbieten oder sogar einen Schlafplatz. Das ist, finde ich, ein Alleinstellungsmerkmal dieser Szene“, überlegt Volkmer.

„In Notsituationen hilft man Leuten, die man nicht kennt“, findet Sven. „Vor Kurzem hatten wir jemanden zu Besuch, der eine paranoide Schizophrenie hat. Das wusste zuerst keiner von uns. Er wollte eigentlich ein paar Tage bei uns chillen und mit uns feiern. An einem Abend kam er zu uns, nachdem er Drogen genommen hatte, und hat uns erzählt, dass er Probleme hat und Hilfe braucht. Die hat er von uns bekommen“, erzählt Sven.

Ob mit oder ohne Besuch; die Punks verbringen viel Zeit miteinander. Sie kochen zusammen, sitzen am Lagerfeuer und fahren in den Urlaub. Gerade besprechen sie die nächste Reise zu einem Wohnwagenplatz an der Nordsee. „Wir fahren nach Cuxhaven, ans schöne Meer“, erzählt Sarah aufgeregt. „Lasst uns schwimmen gehen, Leute, das wird bestimmt schön.“ Dann fällt den Punks der Mann wieder ein, der sie kürzlich besucht hat. „Den hab ich völlig vergessen bei der Urlaubsplanung“, fällt Sven auf. Er lacht. „Ich glaube, ich sage ihm mal Bescheid.“ Sarah nickt. „Die Tage kommt er zu uns zurück. Er hat uns angefleht, dass er zu uns zurückkann“, erinnert sie sich. „Der kommt auf jeden Fall mit in den Urlaub, der bleibt hier jetzt nicht allein“, bekräftigt Jojo.

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Geteilte Wurst. Foto: Marilyn-Luise Utke

Nils Volkmer bewundert diese Offenheit: „Ich glaube nicht, dass ich bereit wäre, einen wildfremden Menschen bei mir schlafen und essen zu lassen. Das würde ich nicht hinkriegen“.

Die Punks gehen auch gemeinsam „schnorren“. Sie treffen sich mit anderen Punks in der Stadt, um Passant*innen um Geld zu bitten. „Man muss nicht befreundet sein, um schnorren zu gehen, aber man sollte sich schon gut verstehen, man hängt ja viel zusammen rum“, erklärt Jojo. Das gemeinsame „Schnorren“ verbinde. „So muss man das alles hier nicht alleine durchstehen“, erklärt Sarah. Das Geld, das sie verdienen, teilen sie untereinander auf. Das würden sie nicht mit jedem machen, aber untereinander vertrauen sie sich. „Egal, wer was hat: Es wird einfach untereinander geteilt. Weil wir eh alle keine Kohle haben, ist es total egal. Hier stellt keiner große Besitzansprüche, abgesehen von ein paar privaten Dingen, die jeder für sich aufbewahrt“, erklärt Sven. Oft gehen sie nach dem „Schnorren“ gemeinsam einkaufen und kochen dann. Trotzdem hat jeder von ihnen auch eine eigene Kasse: „Wir haben natürlich auch unsere eigenen Ausgaben, die wir privat tätigen, wie zum Beispiel Tabak. Den würde auch nicht die gesamte Gruppe für jeden finanzieren“, erklärt Sarah lachend.

Den Punks ist es trotzdem wichtig, sich ihre Eigenständigkeit zu bewahren. „Manchmal ist auch einfach mal einer von uns drei Tage weg. Da sprechen wir aber auch keine klaren Termine ab, wann wir uns wo wiedersehen, das ist relativ egal“, findet Sarah. „Jeder hat sein eigenes Leben.“ Sven ergänzt: „Es gibt zwar viele Freundschaften innerhalb dieser Gruppe, aber nicht jeder ist mit jedem befreundet“.

„Beziehungen zwischen Punks sind nicht anders als zwischen anderen Menschen auch“, erklärt Nils Volkmer. „Es gibt Freunde, die sich gegenseitig unterstützen und helfen, aber es gibt auch Notgemeinschaften.“ Das sei aber bei allen Menschen der Fall. „Wenn man ehrlich zu sich selbst ist, hat man Freunde, die man nutzt oder von denen man genutzt wird, und man hat Freunde, mit denen man aus Sympathie befreundet ist.“ Welche Art von Beziehung Punks führten, hänge von der Situation ab, in der sie sich befinden, erklärt Volkmer. Er unterscheidet dabei zwischen Freundschaften unter Punks, die meistens nicht obdachlos sind, und Freundschaften zwischen obdachlosen Menschen. Ein Punk sei Teil einer Szene, die sich von anderen Gruppen abgrenzt. „Punk zu sein, ist eine bewusste Entscheidung. Ganz anders ist das bei obdachlosen Menschen. Punks haben sich quasi als Gegenkultur ein eigenes Selbstbild geschaffen und besitzen ein Selbstwertgefühl. Dieses Selbstwertgefühl wirkt sich auf die Freundschaft zu anderen Menschen aus, weil man sich nicht in eine Opferrolle begibt. Ich glaube, dass ist eine Voraussetzung von Freundschaft“, erklärt Volkmer.

„Ich finde nicht, dass wir eine Zweckgemeinschaft sind“, sagt Jojo. „Wir sind eher eine Mischung aus Wohngemeinschaft und Freunden.“ Sarah überlegt. „Wir sind noch in der Ausarbeitung“, meint sie schließlich. „Wir können noch nicht wirklich sagen, was wir für ein Grundkonzept haben, weil gerade ständig Leute kommen und gehen.“ Trotzdem ist Freundschaft sehr wichtig für sie. „Freunde sind ein Familienersatz“, erklärt Sven. Die gesamte Gruppe hat keinen bis kaum noch Kontakt zur eigenen Familie. In ihrer Freundesgruppe suchen sie Nähe und Gespräche; insbesondere in Momenten, in denen es ihnen nicht gut geht. „Wir alle vier haben psychische Probleme“, erzählt Sarah. „Wir kommen auch dadurch gut miteinander aus, dass wir verstehen, was der jeweils andere durchmacht. In Momenten, in denen man kurz durchdreht, verstehen die anderen, dass es gerade nicht anders geht, und das ist okay.“ Jojo sieht das genauso: „Man braucht sich nicht dafür zu schämen“. Für Sven bedeutet Freundschaft genau das: „Man ist füreinander da, auch in schlechten Zeiten. Die anderen stehen zu einem, auch wenn man sich gerade komplett danebenbenimmt. Wir sind für Leute da, von denen andere vielleicht denken würden, dass sie total irre sind“. Sarah grinst in die Runde: „Je schlimmer das Problem, desto besser sind die Leute. Das ist mein Motto!“. Die anderen lachen und nicken.

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Teilen. Foto: Marilyn-Luise Utke

„Man darf nicht vergessen, wie hoch der Anteil von Menschen mit körperlichen oder psychischen Beeinträchtigungen in der Punkszene ist“, ergänzt Volkmer. „Diese Menschen werden von dem Rest der Szene einfach mitgenommen. Das muss man sich mal zwischen ‚Normalbürgern‘ vorstellen. Niemand nimmt jemanden mit, der psychische Probleme hat. Für die Punks ist das selbstverständlich.“

Gerade gibt es ein paar Unstimmigkeiten innerhalb der großen Gruppen, mit denen sich die Punks häufig treffen. Wie sie Konflikte lösen? „In der Regel, indem man miteinander spricht. Egal, ob es unbequem ist oder nicht“, findet Sven. „Wenn sich das Problem nicht löst, sollte man einfach zu einem anderen Zeitpunkt nochmal miteinander reden“, denkt Sarah. „Falls es gar nicht anders funktioniert, haut man dem anderen halt mal eine rein“, ergänzt Jojo. „Dann hat sich die Sache erledigt.“

Nils Volkmer kennt dieses Verhalten von Punks, allerdings als letzte Lösung zur Konfliktregelung. „Ja, Gewalt ist eine Lösung. Nicht die vorrangigste, aber wenn sich das Problem nicht anders lösen lässt, dann passiert so etwas.“ Das sei allerdings stark personenabhängig und bei jeder Gruppierung anders, erklärt er. „Wenn sich die Punks tatsächlich körperlich auseinandersetzen, dann hat sich die Sache damit geklärt und das Problem wird nicht nochmal zum Thema.“


Die Punks sind froh, einander zu haben. „In manchen Situationen achte ich eher auf mein eigenes Gefühl“, erklärt Jojo. „Aber wenn es mir nicht gut geht und ich mal wieder am Durchdrehen bin, dann kann ich darauf vertrauen, dass die anderen da sind, um mir zu helfen und mir zu sagen, dass alles okay ist.“ Sie schaut Sven in die Augen. „Dann weiß ich, dass sie mir nichts Böses wollen, sondern eigentlich nur das Beste für mich.“