Studierende der 2. Semester der Journalistik und des Fotojournalismus; Dorit Klüver, Landesarbeitsgemeinschaft Soziokultur (LAGS); Prof. Lars Bauernschmitt (Studiengang Fotojournalismus und Dokumentarfotografie); Hans-Peter Fischer (Studiengang Journalistik)
Feldkulturerbe
Im Projekt Feldkulturerbe prallten Welten aufeinander: Hier Kulturschaffende, verstreut in der ländlichen Weite Niedersachsens, organisiert in der Landesarbeitsgemeinschaft Soziokultur. Dort Studierende aus Journalistik und Fotojournalismus, durchaus großstädtisch orientiert, mit Vorliebe für Charthits und Bundesligafußball. Doch Kulturaktive und Autor*innen rauften sich zusammen - und so entstanden 12 (Foto-)Geschichten über ganze Dörfer, die gemeinsam Theater spielen; umgenutzte Bauernhöfe, die Jugendlichen zur kulturellen Zuflucht werden, oder einen Pastor, der als ehrenamtlicher Müller eine Windmühle erhält.
Ein Dorf spielt Theater
Das „Forum Heersum“ – ein Portrait
Tim Beyer
Heersum wirkt auf den ersten Blick wie viele Dörfer in der Hildesheimer Börde: Eine verschlungene Hauptstraße, Fachwerk-Bauerngehöfte, alles geschmiegt an die sanfte Hügellandschaft des nördlichen Vorharzes. In dieser 725-Seelen-Gemeinde ist der Verein „Forum Heersum“ aktiv – und verwandelt Ort und Umgebung regelmäßig im Sommer in eine gigantische Freiluftbühne. Seit mehr als zwanzig Jahren sorgen die Stücke des Forums mit Charme, Witz und Kreativität für Freude bei den Zuschauern. Das Besondere dabei: Die Dorfbewohner werden selbst zu Schauspielern. Knapp 120 Laiendarsteller, unterstützt von einer Handvoll ausgebildeter Schauspieler, setzen in diesem Jahr das von Regisseur Uli Jäckle verfasste Stück „Der Hakelmann stirbt nie“ um.
Wer sich über das Forum informieren will, landet schnell im Heimatmuseum des Forums. Dass der Fachwerkbau aus dem 18. Jahrhundert stammt, davon legen die Risse in Mauerwerk und Balken deutlich Zeugnis ab. Das Museum bietet Interessierten einen abwechslungsreichen Blick in die Theater-Vergangenheit. Gleich im Eingangsbereich wartet das ganze Dorf auf die Besucher. In den 90er Jahren wurden Portraits fast aller Dorfbewohner auf Faserplatten gezogen und links und rechts entlang des Eingangs aufgehängt. Aber Vorsicht: Kopf einziehen, denn die Deckenhöhe beträgt maximal 1,80 Meter. Über eine altersschwache Treppe gelangen Museumsgänger in die erste Etage. Dort oben finden sich skurrile Requisiten wie die Badewanne, durch die dem Hakelmann anno 1998 die Flucht gelang, und Plakate frühere Stücke wie „Bördiana Jones“.
Im Museums-Fachwerkhaus haben auch die Köpfe des Forums ihre „Zentrale“. Niedrige Decken, überall Laptops und Kaffeetassen. Mitten im dröhnenden Stimmengewirr des Teams sitzen die Geschäftsleiter Marion Schorlepp und Jürgen Zinke. Hier noch ein Telefonat mit der benachbarten Gemeinde zwecks einer Spielerlaubnis, dort eine Änderung im Skript. „Hier den Überblick zu behalten, ist gar nicht so einfach“, grinst Schorlepp.
Das galt in diesem Jahr erstmals auch für die Suche nach einem geeigneten Spielort. In all den Jahren zuvor fanden die Aufführungen in der Gemeinde Holle statt, doch die Spielorte wurden langsam rar. Es hagelte Absagen. Schließlich war ein Aufführungsort gefunden, aber zwei Wochen vor Beginn der Proben gab es doch noch ein Nein. Der verschobene Probenbeginn – noch das kleinste Problem. Viel schwerwiegender: Ohne Spielplatz keine Endfassung des Skriptes. „Wir waren kurz davor, alles abzublasen. Dann hätten wir alle Fördergelder zurückzahlen müssen, die Institution Forum Heersum wäre ernsthaft in Gefahr gewesen“, erinnert sich Geschäftsführer Jürgen Zinke. Doch so weit kam es nicht. Auch wenn die Aufführungen des Forums in diesem Sommer erstmals außerhalb der Grenzen der Heimatgemeinde Holle stattfinden, nämlich in Rhene bei Baddeckenstedt – das liebevoll inszenierte Stück „Der Hakelmann stirbt nie“ beeindruckt ebenso wie die Stücke in der Vergangenheit.
Regisseur Jäckle wagt mit dem Stück den Schritt zurück in die Geschichte des Forum Heersum: Er greift mit dem Hakelmann eine vor Jahren erschaffene Figur wieder auf. Die Kurzfassung: Vor fünfzehn Jahren feierte der Hakelmann Premiere, damals entkam der böse Wassergeist seinen Verfolgern und treibt seitdem sein Unwesen in den Gewässern der Gemeinde Holle. Wer er wirklich ist, weiß niemand. Wie passend – ist doch Geheimagent 008 arbeitslos, da sein legendärer Vorgänger (mittlerweile im Ruhestand) alle „Superschurken“ dieser Welt zur Strecke gebracht hat. 007 lässt sich nun mit Gänsefett mästen, natürlich von Miss Moneypenny, die ihren Agenten endlich ganz für sich allein hat. Derweil jobbt 008 als Touristenführer in der Gemeinde Baddeckenstedt. Dort trifft der charmante Geheimagent auf die zugereisten Nord-Koriander, deren Diktator Kim Bum Bum gerne als letzter „Superschurke“ zur Verfügung stehen möchte. Um seine Fähigkeiten auf diesem Gebiet zu beweisen, entführt er eine Handvoll Kinder aus dem örtlichen Waldorfkindergarten. Immer an der Seite des Diktators ist der Butler Johann, vormals in Diensten der legendären Miss Marple.
Als „Landschaftstheater“ bezeichnet Regisseur Uli Jäckle die Aufführungspraxis des Forum Heersum. Kein Wunder, bekommt der Zuschauer doch im Laufe einer Vorstellung einiges von der Gemeinde Rhene zu sehen. Ein weitläufiger Sportplatz, private, teils wunderschön herausgeputzte Bauernhöfe und schließlich für das Finale eine idyllisch gelegene Mühle sind nur einige der Spielorte. Liebevoll sind die Requisiten gestaltetet, allem voran die Fahrzeuge. 007 fährt stilecht im Aston-Martin vor, einem umgebauten Kettcar. Der Diktator der Koriander lenkt ebenfalls sein eigenes Fahrzeug – wie es sich für einen „Superschurken“ gehört, ist auf dem Dach eine riesige Rakete montiert. Für die selbstgebauten Kulissen zeichnen Thomas Rump und sein Team verantwortlich. Wochenlang tüftelten sie über alten Bauplänen und skizzierten verschiedene mögliche Aufbauten, ehe aus einem alten IFA-Leiterwagen das Fahrzeug eines Superschurken wurde – samt täuschend echt wirkender Rakete.
Das Projektil hat Kim Bum Bum auch nötig, denn im Verlauf des Stücks bekommt er Konkurrenz: Dr. No und Goldfinger tauchen auf. Freigelassen von 007 höchstpersönlich, der die Verbrecherjagd wieder aufnehmen möchte, um der Langweile zu entfliehen. Über Verwechslungen, Irrungen und Wirrungen gerät der Hakelmann fast in Vergessenheit. Doch am Ende wartet, wie sollte es anders sein, die große Auflösung – mit Butler.
Der Erfolg gibt dem Forum Heersum recht. In seinem neusten Stück wird nicht nur die Theater-Welt vor legendären Schurken gerettet, das Schauspiel bringt auch ein ganzes Dorf fast geschlossen auf die Beine. Und damit ist Heersum dann doch nichts ganz so wie viele andere Dörfer in der Hildesheimer Börde.