Studierende der 3. Semester der Journalistik und des Fotojournalismus, Polizeidirektorin Claudia Puglisi (Polizei Niedersachsen), Prof. Lars Bauernschmitt (Studiengang Fotojournalismus), Hans-Peter Fischer (Studiengang Journalistik)

Polizei.Täglich.Technik.

Titelbild Polizeiprojekt

Titelbild des Ausstellungskatalogs "Polizei.Täglich.Technik"

Polizeiarbeit ohne Technik? Undenkbar. Das zeigten 2017 Studierende der Studiengänge Fotojournalismus und Journalistik in einer Reihe von Reportagen, die den Polizeialltag und die unumgänglichen technischen Hilfsmittel zeigten. Die Autor*innen und Fotograf*innen stellten dar, wie Polizist*innen in jedem Einsatz auf Uniform, Koppel, Waffen, Computer und Fahrzeuge angewiesen sind.

Polizei Festnahme

Festnahme eines Flüchtenden

Polizeibulli Nachts

Nachtschicht

Polizisten Demo Mittag

Mittagspause beim Demo-Einsatz

­­­­Schüsse auf weitem Feld

Wie eine Waffe das Leben eines Polizisten veränderte

Kathrin Gatzemeier

Polizisten tragen sie deutlich sichtbar am Gürtel, sie verschaffen Respekt und vermitteln gleichzeitig Sicherheit – Waffen. Doch aus diesem vermeintlichen Schutz kann auch eine enorme psychische Belastung für die Gesetzeshüter entstehen.

Wolfgang Kumler, 60 Jahre, ist Kriminalhauptkommissar und seit über 40 Jahren im Dienst. Er steht kurz vor dem Ende seiner Berufszeit. An einem ganz normalen Arbeitstag vor knapp 25 Jahren veränderte sich das Berufsleben des Polizisten drastisch. Er musste seine Waffe ziehen, benutzen und auf einen Menschen schießen.


Es ist ein Freitag im Juni 1991. In Hattort im Kreis Wolfsburg wird eine Bank ausgeraubt. Kumler ist Wachgruppenleiter im Kriminaldauerdienst, als der Alarm herein kommt. Es folgt eine Täterbeschreibung für zwei Verdächtige. „Ich bin sofort rausgefahren. Jemand musste den Tatort sichern und dafür sorgen, dass keine Spuren zertreten werden“, erzählt Wolfgang Kumler heute. Kurz vor der überfallenen Bank laufen ihm zwei Männer entgegen, auf die die Täterbeschreibung passt. „Ich springe aus dem Auto und gebe mehrere Warnschüsse ab.“ Die Ereignisse überschlagen sich: Ein Verdächtiger flüchtet auf einen Acker und wirft sich auf den Boden, der andere läuft weiter, Kumler schießt. Einmal. Der Flüchtige bricht zusammen. „Ich wollte ihn stoppen, von der Flucht abhalten“, sagt der nun ergraute Kriminalhauptkommissar.


Feuer frei? Nur im Simulator


Flüchtige zu stoppen, darauf werden Polizisten heute gut vorbereitet. „Die Trainingssituation versuchen wir so real wie möglich zu gestalten“, erklärt Trainer Olav Heinzel bei einer Schießübung in Wolfsburg. „Waffe weg! Fallen lassen! Runter damit!“ Der etwa 30 Meter lange Raum ist erfüllt von Kampfgeschrei. Hunderte von leeren Hülsen liegen auf dem Boden. Mittendrin stehen zwei Streifendienstbeamte mit gezückter Pistole. Die Leinwand am Ende des Raumes zeigt eine projizierte Gartenlandschaft. Ein bewaffneter Verdächtiger springt hinter dem digitalen Zaun hervor. „Eins schießt, zwei, jetzt als Team“, schreit Schießtrainer Heinzel. Die Waffen zucken nach oben, die Oberkörper zurück. Der Boden unter den Füßen vibriert leicht, die Schüsse dröhnen in den Ohren und die herausschleudernden Hülsen klacken. An der Leinwand markiert ein roter Kreis die Einschussstelle und der Mann kippt hinter den Zaun.

Scheiße, du hast einen umgelegt!“


Bei der Schießerei in Hattort sind mittlerweile einige Kollegen ebenfalls vor Ort und stürzen hinter Kumler her. Die Waffen sind gezogen. Doch der Verdächtige rührt sich nicht mehr und die Polizisten können kurz darauf nur noch seinen Tod feststellen. Der Schuss ging durch den Brustkorb, die Patrone klemmt noch zwischen Haut und Kleidung. „Es muss ein Wunderschuss gewesen sein. Aus dieser Entfernung ist ein bewusster Treffer mit der Kurzwaffe eigentlich kaum möglich“, sagt der Polizist.


Im ersten Moment fühlt sich Kumler ganz ruhig, normal. „Erst kurz darauf denke ich 'Scheiße, du hast einen umgelegt' und bekomme Panik“, sagt der 60-Jährige heute. Seine Kollegen führen ihn weg vom Tatort, ihm wird die Waffe abgenommen. Er bekommt eine Zigarette gegen das Zittern und das Schwindelgefühl. Im Krankenhaus sagen ihm die Ärzte, dass er einen Schock habe, ihm aber sonst nichts fehle. Kumler darf nach Hause zu seiner Frau und den zwei kleinen Kindern. Seine Frau ist besorgt, aber ruhig und hört ihrem Mann gewissenhaft zu. Das sei ihm in seiner Laufbahn immer wieder die größte Stütze gewesen: Dass er zu Hause einfach loslassen könne und sich seine Erlebnisse von der Seele reden könne.


Im Zweifelsfall: Nicht schießen


Ausnahmesituationen wie diese spielt Einsatztrainer Olav Heinzel mit Polizeibeamten in Schießtrainings durch. Dabei gehe es jedoch nicht bloß darum, sich mit der Pistole auszukennen und die Technik zu beherrschen. In erster Linie stellt Heinzel die Polizisten vor eine Entscheidungen: Schießen oder nicht schießen? „Früher wurde vor allem die Treffgenauigkeit geübt, der sogenannte gezielte Schuss“, erinnert sich der 47-Jährige. Aus verschieden Distanzen mussten Figuren und Formen exakt getroffen werden. In den letzten Jahren habe jedoch eine enorme Entwicklung stattgefunden. Zwar werde in den heutigen Trainings auch der gezielte Schuss geübt, doch gehe es nun vor allem darum, in Stresssituationen die Entscheidung zu treffen: Wird die Waffe genutzt oder wieder gesichert? Heinzel: „Wenn ich nicht weiß, ob ich schießen soll, soll ich es im Zweifelsfall nicht.“


1991 trifft Kriminalhauptkommissar Kumler seine Entscheidung und schießt. Für ihn nimmt der Vorfall in Hattorf noch am selben Abend aber eine entscheidende Wendung. Der entkommene Komplize stellt sich und die Ermittlungen fördern weitere Details zu Tage. Der tote Verdächtige ist zwar zweifelsohne der Bankräuber. Er ist kurz zuvor aus dem Gefängnis entlassen worden. Jedoch ergibt ein Abgleich der Patrone, dass der tödliche Treffer von einem Kollegen kam, der zeitgleich geschossen hat. „Mir ging erstmal die Kinnlade runter. Trotzdem habe ich mich nicht gleich besser gefühlt. Dafür waren die Ereignisse noch zu nahe“, sagt Kumler.


Ausnahmesituation Schuss und das Danach


Erst vier Tage nach den Ereignissen geht er wieder zum Dienst. Probleme machen ihm die Erlebnisse noch Jahre danach. „Heutzutage werden die Kollegen auf solche Situationen sehr gut vorbereitet. Damals versuchten wir, uns mit Gesprächen im Kollegenkreis auf so ein Ereignis einzustellen“, so Kumler. Trotz aller Vorbereitung und Gespräche bleibe das Schießen auf Menschen immer die letzte Wahl und absolute Ausnahmesituation.


Beim Scheißtraining gilt es nun, sich auf eine derartige Ausnahmesituation einzustellen. „Die Kollegen sollen als Team handeln, sich gegenseitig unterstützen und gemeinsam entscheiden“, so Heinzel. Hinter dem digitalen Zaun springt nun ein Kind hervor. Die zwei Polizisten sichern ihre Pistole im Holster.


Vier solcher Schießanlagen gibt es in der Region Braunschweig. Für alle Polizeibeamten sind vier Trainings im Jahr vorgesehen. Jedes zweite Jahr beweisen sie in einer Kontrollprüfung Geschick und Ermessen. Für die alltäglichen Fälle tragen alle Beamten noch verschiedene andere Schutz- und Verteidigungswaffen an ihrem Gürtel. „Die Waffe, die ich in den meisten Fällen als erstes ziehe, ist das Pfefferspray“, erzählt Heinzel, der neben dem Schießtraining auch Vorgesetzter einer Polizeieinheit ist. „Der Einsatzstock ist oft hilfreich, um sich zu schützen. Aber auch Taschenlampe und Handfesseln zählen zu den Waffen.“ Acht Stunden pro Jahr trainieren die Beamten neben dem Schießtraining auch Selbstverteidigung mit und ohne diese Hilfsmittel. Einsatzführer Heinzel erklärt den planmäßigen Ablauf in Gefahrensituationen: Zunächst werde mit dem Angreifer gesprochen; helfe das nicht, werde zur Beruhigung ein körperlicher Kontakt gesucht bis hin zu Kampf- und Verteidigungsmaßnahmen. Der nächste Schritt sei der Einsatzstock. Die Pistole das allerletzte Mittel. Das Wichtigste auch hier – Entscheidungen treffen.


Rechtlich abgesichert. Moralische Grauzone


Kriminalhauptkommissar Kumler hatte sich für die Pistole entschieden. Später wurde ein Todesermittlungsverfahren geführt, in dem er und der Kollege, der eigentliche Schütze, als Zeugen aussagten. Damit war von offizieller Seite die Sache geklärt.


Der eigentliche Schütze hat die Ereignisse sehr gut verarbeitet und arbeitet nun in einer kleinen Dienststelle im Kreis Helmstedt. Nicht so Kumler. Einige Zeit wollte er keine Waffe mehr tragen und habe manche Einsätze seinen Kollegen überlassen. Das habe sich irgendwann wieder gelegt. Er finde es wichtig, stets die Möglichkeit zum Handeln zu haben. Regelmäßig geht er heute auch noch dem Schießtraining nach. „Der sichere Umgang mit der Waffe ist wichtig. Er minimiert auch die Angst vor einer ähnlichen Situation“, sagt der 60-Jährige heute.


Rechtlich ist der Gebrauch der Schusswaffe klar abgesichert, moralisch hat das aber häufig eine andere Dimension. Auch wenn Kriminalhauptkommissar Kumler den Täter nur von der Flucht abhalten wollte, so hat er einen Tod in Kauf genommen. Heute würde er einem Flüchtigen wohl nicht mehr hinterher schießen und sich nur noch auf Selbstverteidigung beschränken. Niemand habe den Tod verdient, findet der. „Auch ein Bankräuber nicht.“


Psychisch habe ihm diese Erfahrung lange Zeit stark zugesetzt, sagt Kumler. So sehr, dass auch seine Ehe davon belastet war und fast in die Brüche gegangen wäre. Über viele Jahre konnte er sich mit Hilfe psychologischer Unterstützung Stück für Stück aus dieser emotionalen Belastung herausarbeiten und mittlerweile kann er wieder ganz unbeschwert Dienst schieben. „Auch wenn ich niemanden getötet habe, der Gebrauch der Schusswaffe hat mein Leben verändert. Heute kann ich darauf unbelastet zurück gucken und offen darüber sprechen.“